Verborgen im Sumpfwald von Lakadonien befindet sich ein Königreich, etwa auf halbem Wege zwischen Svardon und Myornis, doch niemand außer den Bewohnern selbst weiß von seiner Lage, die seit vielen hundert Jahren geheimgehalten werden konnte. Trotz dieser Tatsache ist die Kriegerschaft des Geheimen Reichs, genannt die Muroces, in aller Welt bekannt.
Die Muroces waren nicht stets ein Orden aus einem Geheimen Reich. Sie hatten sich spät im Zeitalter Cevids gegründet und waren eine Gemeinschaft von Gvulp-Jägern. Wo immer ein Volk von den Echsenwesen bedrängt wurde, tauchten die Muroces auf, um es von der Plage zu befreien. So hervorragend war der Ruf dieser Kriegerschaft, daß sogar die Nûk, die sonst Menschen gegenüber stets mißtrauisch waren, eine innige Freundschaft mit den Muroces pflegten.
Als die Alben vertrieben waren und das Interregnum anbrach, kam eine Zeit, in der jeder gegen jeden kämpfte und manches Volk sich sogar mit Gvulps verbündete, wenn es sich einen Vorteil davon versprach. Unter ihren Anführern Lestes und Nauratis zogen die Muroces ein letztes Mal durch die Dörfer und warben Bauern, Fischer, Jäger und Handwerker an, mit ihnen zu kommen, um ein geheimes Reich zu suchen, in dem sie verborgen vor der feindlichen Außenwelt leben könnten.
Nach zehn Jahren entbehrungsreicher Wanderung ereignete es sich in der Nähe von Myornis, daß Lestes einen Traum hatte, in dem ein Reh zu ihm sprach und ihm den Weg zum Sumpfwald von Lakadonien wies. Von der kraftvollen Vision geleitet erreichten die Muroces und ihre erschöpften Gefolgsleute das Waldreich, doch fanden sie es verseucht von Mücken und voll gefährlicher Tiere und monströser Wesen. Da rebellierten die ersten im Trupp, doch Nauratis ritt unverzagt in die Sümpfe hinein, wo er sieben Ungeheuer mit eigener Hand erschlug. Von dieser Großtat beeindruckt folgten ihm die Muroces und deren Anhänger in den düsteren Wald. Tagelang folgten sie verborgenen Pfaden und gelangten endlich an die Ufer eines großen Sees im Zentrum der Wälder. Hier lagerten sie des Nachts. Während die Muroces schliefen, verspürte Lestes eine Unruhe, die ihn antrieb, am Ufer des Gewässers entlangzugehen. Dort traf er auf das Reh seiner Visionen, und im Schein des Mondes verwandelte es sich in eine wunderschöne Frau.
So kam es, daß Lestes am Ufer des Tiefen Sees auf Ramanha stieß, seine Gemahlin, mit der er die Linie der Sumpfkönige begründete. An eben dieser Stelle entstand die Stadt der Edlen mit dem großen Palast, in dessen Hallen Lestes gekrönt wurde. Nauratis aber wurde der Heerführer der Muroces, die durch die Sümpfe zogen, um die verbliebenen Ungeheuer zu suchen. Das Reh und der Tiefe See sind den Muroces seit jenen Tagen heilig.
Nur wenige Jahre später fand ein Außenstehender den Weg in das Geheime Reich. Es war Vindan, der letzte der Kaiserlichen Magiere, der ebenso besorgt um das Wohl des Westens war wie die Muroces. Bei sich trug er Valaidur, das Wegweisende Schwert, und mit seiner Hilfe hatte er den Weg in das verborgene Reich gefunden. Vindan kniete vor dem König nieder und überreichte ihm die Klinge. In ferner Zukunft, so teilte er Lestes mit, werde das Interregnum ein Ende finden und wieder ein Kaiser in Dragonia herrschen. Dann sollten die Muroces ihn mit Valaidurs Hilfe suchen und ihm helfen, den Thron zu erobern. Lestes schwor, diesen Wunsch über die Generationen weiterzugeben.
Dreihundert Jahre ereignete sich nichts Besonderes. Das Leben im Geheimen Reich war friedlich, und nach Vindan sollte es niemand mehr finden, und ebenso wenig fand einer der Bewohner den Weg nach draußen. Doch in der Herrschaft des Königs Lagunor begab es sich, daß dieser das Wegweisende Schwert befragte, wie seine Vorfahren es stets getan hatten, ob es einen neuen Kaiser gebe. Ihm gab Valaidur Antwort, und so verließen die Muroces erstmals nach dreihundert Jahren die Sümpfe. Sie fanden Virbal und sein Heer, schlossen sich ihm an und halfen ihm, Dragonia zu erobern und das Imperium neu zu errichten. Doch zwar schwor Lagunor hiernach dem neuen Kaiser die Treue, aber ihr Sumpfreich verließen die Muroces nicht. Sie baten sogar den Imperator, die Lage ihres Reiches weiter geheim halten zu dürfen, und diese Bitte wurde ihnen gewährt.
Das Geheime Reich ist ein Netzwerk von Sümpfen und Seen. Neben der Stadt der Edlen gibt es nichts als winzige Dörfer, die sich zwischen die Tümpel und Moore kauern. Um die Lage ihres Reiches geheim halten zu können, haben die Muroces Vorkehrungen treffen lassen, daß niemand den Weg finde, sei es von außen in das Geheime Reich oder umgekehrt. Nur wenige Eingeweihte kennen den Geheimen Pfad, der als einziger in die Außenwelt führt. Andere Wege enden im Nichts oder führen im Kreis, und manche Gerüchte besagen, es gebe tückische Fallen, die auf jene warteten, die einen Weg in die Außenwelt suchten.
Die Stadt der Edlen und der Tiefe See
Die Stadt der Edlen liegt an den Ufern des Tiefen Sees, in dem die Muroces ihre Toten versenken. Auf der anderen Seite der Stadt erheben sich die Berge des Rehs, kaum mehr als eine unbedeutende Hügelkette, doch die einzigen nennenswerten Erhebungen im Sumpfland. Ramanha zog sich einst in die Hügel zurück, als sie ihre menschliche Gestalt aufgeben mußte, und seither sind die Berge den Muroces ebenfalls heilig. Hinter den Hügeln stößt man auf den Flachen See, in dem einst das siebente Ungeheuer zu Hause war, das Nauratis erschlug. Im Flachen See versenken die Muroces die Schlechtesten der Gemeinschaft, denn hierdurch bleibt ihnen der Weg in die Moore über den Himmeln versperrt, und nie finden ihre Seelen Frieden.
In den Bergen des Rehs hat auch der Gerfurin seine Quelle, der größte Strom des Westens, der Tausende Meilen weiter östlich in das Innenmeer mündet.