Der Bund der Raben


Getreu dem Gesetz des Baumes mußte der allseits beliebte Hochkönig Basilio den Thron des Nordlands räumen. Nun haben die Haronen die Macht, eine rohe und blutrünstige Sippe, die alle Länder in einen Kreislauf von Gewalt und Bürgerkrieg stürzen. Eine Gruppe aufrechter Menschen, die sich an bessere Zeiten erinnern, schließt sich zusammen, um der Tyrannei ein Ende zu bereiten und dem Haus Basilio wieder an die Macht zu verhelfen.

In der Stunde der größten Not gibt sich ein alter Geheimbund zu erkennen, der vorgibt, das gleiche Ziel zu verfolgen: die Raben. Doch nicht alle Weisen glauben, daß man ihnen trauen kann. Soll man sich den Raben anschließen und mit ihnen kämpfen? Oder haben jene recht, die warnen, daß mit den Raben ein weiteres Zeitalter der Finsternis anbräche?



Der Roman ist fertig, ein Erscheinungstermin wird demnächst bekannt gegeben. Eine erste Leseprobe gibt es hier schon einmal:


Wind peitschte in ihre Gesichter und ließ ihre Haare fliegen. Gebeugt standen die beiden jungen Frauen auf der Anhöhe inmitten eines Reiches der Wolken. Der glatte Fels unter ihren abgelaufenen Schuhen bot nicht einmal mehr den Flechten Gelegenheit zum Wachsen. Weiße Flächen aus Firn boten dem fortgeschrittenen Sommer Widerstand.
"Wir sind am Ziel, Schwester!" keuchte Cardhen. "Bist du jetzt zufrieden?"
Dharana blickte sich um. Sie wußte, daß sie höher hinaufgeklettert waren als möglicherweise je ein Mensch vor ihnen. Die Luft war dünn und machte ihnen das Atmen schwer. Allzu schnell waren sie erschöpft, und an einem jeden Tag mußten sie mehr Pausen machen als Dharana lieb war.
"Das Dach der Welt", rief Dharana ehrfürchtig aus. "Ich kann nicht glauben, daß wir es geschafft haben!"
Nachdem Cardhen ihren Verstand wiedergefunden hatte, waren sie weitere zwei Wochen in südlicher Richtung gegangen. Nie hatten sie ein Zeichen gesehen, daß irgendwann einmal Menschen in diesen Bergen gewandert waren; keine Fußspuren, keine abgebrannten Lagerfeuer, und seien sie noch so alt. Sie waren einsam, und da sich die Landschaft nie zu ändern schien, waren sie im Ungewissen, wie weit sie mittlerweile vorangekommen waren.
Dann hatte Dharana gesagt: "Es hat keinen Zweck. Wir müssen uns orientieren. Ich will auf einen dieser Gipfel, um in die Ferne blicken zu können."
Und zu Cardhens Entsetzen hatte ihre Schwester mit dem Finger auf einen Berg gezeigt, der wie ein mahnender Finger in die höchsten Wolken selbst zeigte. Diesen hatte sie gewählt, weil er anders als viele andere Berge nicht mit steilen, glatten Wänden aufragte, sondern einen Aufstieg entlang einer endlosen Schräge zu bieten schien - wiewohl sich herausgestellt hatte, daß der Eindruck aus der Ferne zum Teil täuschte, denn vielerorts hatten sie klettern müssen und hatten sich an todbringenden Abgründen emporgehangelt. Doch Cardhen hatte nie geklagt. Dharana war bewußt, daß sie diesen Weg nie hätte einschlagen können, wenn ihre Schwester nicht aus ihrem Wahn erwacht wäre.
Mit ernster Miene, durch die krumm geschlagene Nase noch verstärkt, blickte Dharana sich um. Zu allen Seiten erstreckte sich ein graues Wolkenmeer, und der Regen war zu stark, als daß sie auch nur einen benachbarten Berg hätten erblicken können.
"Dafür bin ich nicht hochgestiegen", beklagte sich Dharana. "Man kann rein gar nichts erkennen!"
"Und was tun wir?" fragte Cardhen.
"Wir verbringen die Nacht an diesem Ort. Wir warten auf besseres Wetter und bessere Sicht."
"Und wenn wir Tage warten müssen?"
"Dann warten wir Tage!"
"Dharana!" beschwor Cardhen ihre Schwester. "Es regnet seit drei Tagen! Gott weiß, wann es wieder aufklaren mag! Und hier oben ist es so kalt, daß wir uns bestimmt den Tod holen!"
Sie kauerte sich bei einer neuen Windbö, die unter ihre abgetragene Kleidung drang und ihren durchgefrorenen Körper mit einem neuen Kälteschub bestrafte.
Dharana lachte bitter. "Meine Güte, wir haben den Angriff der Haronen überlebt, den Besuch eines Bären an unserem Nachtlager und Gott weiß wie viele Tage in diesen verfluchten Bergen! Warum sollen wir uns ausgerechnet heute nacht den Tod holen?"
Erschöpft ließ Cardhen sich nieder. "Weil wir Gott herausgefordert haben! Wir sind bis in den Himmel aufgestiegen, und die alte Schrift sagt, daß das eine Sünde ist!"
Eine Träne lief über ihre Wange, und Dharana ließ sich neben ihr nieder. Ihre Verbitterung ließ sie oft hart und spöttisch werden, aber nun hatte sie Mitleid mit ihrer Schwester und legte ihr einen Arm um die Schultern. "Arme Schwester! Sei versichert, daß Gott nach allem, was geschehen ist, bestimmt nicht uns zürnt. Merkst du denn nicht, daß sich die Dinge gewandelt haben? Bis zu dem Tag, an dem Bomir von dem Bären getötet wurde, ist alles immer schrecklicher geworden. Doch dann hast du deinen Verstand wiederbekommen, und wir haben durch zahlreiche Wunder nie Hunger erleiden müssen!"
Das letzte dieser Wunder war am vorletzten Tag geschehen. Vor ihren Augen hatte ein riesiger Adler eine unvorsichtige Gemse über einen Steilhang gejagt. Das Huftier war in die Tiefe gestürzt, und mit brechenden Knochen keine zwanzig Schritte von ihnen aufgeschlagen. So wütend hatte der Adler seine Beute verteidigt, daß Cardhen nicht gewagt hatte, sich zu nähern. Doch Dharana hatte Steine aufgehoben und nach dem Vogel geworfen. So nah war sie ihm gekommen, daß Cardhen befürchtet hatte, der Adler würde sie mit seinem furchteinflößenden Schnabel verletzen. Doch dann war er davongeflogen. Und sogar Dharana, die ihren Glauben an Gott schon verloren hatte, hatte ein stilles Gebet ausgesprochen, bevor sie begonnen hatte, die Gemse zu zerlegen. Sie hatten dann ihre Decken mit so viel Fleisch gefüllt, wie sie zu tragen imstande waren. Der Anstieg war dadurch noch beschwerlicher geworden als ohnehin schon.
"Laß uns essen, Cardhen!" schlug Dharana mit sanfter Stimme vor. "Dann schlafen wir, und wenn Gott weiter mit uns ist, haben wir morgen einen klaren Himmel ohne Wolken und können weiter blicken als je ein menschliches Auge vor uns."
Cardhen nickte, wenngleich nicht überzeugt.

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